Dáša Vokatá, die Traumkämpferin

Als Dáša Vokatá im Frühjahr 1980 gemeinsam mit anderen Charta 77-Unterzeichnern in Wien am Franz Josefs-Bahnhof aus dem Zug Vindobona stieg, hatte sie trotz ihrer Jugend bereits eine bewegte Geschichte hinter sich. Sie wuchs in Ostrava(Ostrau) auf, und seit ihr die Mutter von einem Kuraufenthalt in Karlovy Vary eine Gitarre mitbrachte, wurde Musik zu ihrem ständigen Begleiter. Zunächst lernte sie die Hits der populärsten Bands und Sänger der sechziger Jahre zu spielen, später kamen eigene Lieder und vor allem eigene Texte dazu. Ihre Liebe gehörte nicht nur der Musik, aber auch der Poesie, und so nahm sie auch an damals üblichen Schulwettbewerben teil, die sie mit eigenen Gedichten regelmäßig gewann.

Dášas Vater, das war bekannt, war regime-kritisch eingestellt. Nach der Matura an der der Chemie-Schule hätte Dáša, um weiter studieren zu können, dem Bund der Jungkommunisten (SSM )beitreten müssen. Das kam nicht in Frage und so fing Dáša an zu arbeiten.

1976 sollte zu einem Schlüsseljahr in Dášas Leben werden.

Eines Tages fand sie ihren Vater an einer Krawatte erhängt im Schrank auf. Im Keller stieß sie dann auf vom Vater versteckte Schriften von Andrej Sacharow und anderen Dissidenten, und Dáša beschloß, ihr Leben zu ändern.

Sie nahm ihre Gitarre, einen Rucksack, und den ganzen Mut zusammen, und machte sich auf den Weg -"on the road"- quer durch die Republik auf der Suche nach Menschen, die ihr helfen würden, ihrem Leben einen neuen Sinn zu geben. Nach langer Suche und mit Glück fand sie in Rychnov, Nordböhmen, eine Gruppe von jungen Menschen, die ähnlich wie sie dachten und fühlten, und die in Zeiten des ?normalisierten? Lebens der Ära Husak ? der nach der Niederschlagung der ?Prager Frühlings? an die Macht kam ? einen alternativen Lebensstil lebten, jenseits des Konsums und der gesellschaftlichen Zwänge jener Zeit. Dort lernte sie auch ihren späteren Mann kennen.

Zu Silvester 1976/77 feierten in Rychnov nicht nur junge ?Undergroundler?, sondern auch führende Dissidenten wie Vaclav Havel, der Schauspieler Pavel Landovsky, der Philosoph Jiri Nemec, der Menschenrechtsaktivist Petr Uhl...Charta 77 war bereits fertig und sollte wenige Tage danach veröffentlicht werden. Alle Bewohner des Hauses in Rychnov unterschrieben die Erklärung. Dáša war zu diesem Zeitpunkt schwanger, hatte ihre ersten Verhöre bereits hinter sich, und so wurde ihr von einer Unterschrift abgeraten. Trotz der fortgeschrittenen Schwangerschaft, und aus Wut über die gnadenlose Verfolgung ihrer Freunde unterschrieb sie bereits im Frühjahr 1977 die Charta 77 und setzte sich somit den Repressalien des Regimes aus.

Das Haus in Rychnov wurde durch die Staatspolizei (STB) dem Erdboden gleich gemacht, und Dáša, wieder schwanger, fand mit ihrer Familie Unterkunft bei diversen Freunden. So wohnte sie mit ihrem Mann und Kindern eine zeitlang auch in der Wohnung von Vaclav Havel, der zu dem Zeitpunkt im Gefängnis war. Mittlerweile verschob sich das Hauptgewicht von Dášas Schaffen von poetischen Liedern zu Protestsongs, und sicherten Dáša, der einzigen Frau unter den musizierenden ?Undergroundlern? nicht nur die Aufmerksamkeit des Publikums, sondern auch der Staatssicherheitsleute.

Als der Druck auf die jungen Leute zu stark wurde, und einige von ihnen bereits in Gefängnissen landeten, beschloß man, das Angebot von Bruno Kreisky anzunehmen, der allen Charta 77-Signataren, den prominenten und auch den weniger bekannten, politisches Asyl angeboten hatte. Dáša und ihren Freunden wurde noch vor der Ausreise die Staatsbürgerschaft aberkannt. 1980 verließ eine größere Gruppe der staatenlosen Regime-Gegner die Tschechoslowakei. In Österreich bekamen sie Schutz und zu Beginn sogar ein gemeinsames, renovierungsbedürftiges Haus.

Einige der Freunde wanderten weiter und landeten in der Schweiz (der evangelische Geistliche Svata Karasek), in Kanada (Vratislav Brabenec von den Plastic People of the Universe) oder Australien (Charly Soukup).

Dáša blieb mit ihrem Mann und den Kindern in Wien.

Sie fing an, zu arbeiten, denn ihre Ehe zerbrach und sie mußte ihre zwei Kinder versorgen. Das Geld war knapp, und sie konnte sich die Gebühr für die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht leisten. Die Investition von mehreren tausend Schillingen schien auch nicht nötig, denn zu den Veranstaltungen der Charta-77 Unterzeichner und anderen politisch-kulturellen Aktionen, wo sie gesungen hatte, konnte sie mit ihrem Flüchtlingspaß ohnehin reisen und die Reise zurück in die alte Heimat war ohnehin ausgeschlossen. Beim Gang über den ?Eisernen Vorhang? 1980 nahmen sie und ihre Freunde natürlich an, nie wieder zurück kehren zu können. Dáša konnte auch nicht zum Begräbnis ihrer geliebten Großeltern reisen, die sich kurz nach ihrer Ausreise aus der CSSR gemeinsam das Leben nahmen.

Als im November 1989 das kommunistische Regime zerbrach, konnte Dáša die Ereignisse nur im Fernsehen verfolgen ? wäre sie mit ihrem Flüchtlingspaß ausgereist, hätte sie das Asylrecht verloren. Durch das lange Warten auf die Rückkehr ihrer einzigen Tochter zermürbt, beging Dášas Mutter kurz nach der Wende Selbstmord. Dášas Teilnahme am Begräbnis bedeutete auch gleichzeitig die erste Reise in die inzwischen freie Tschechoslowakei, diesmal schon als österreichische Staatsbürgerin.

Als sie beim Open-air Musikfestival in Trutnov (sogenanntes böhmisches Woodstock) im Sommer 1990 von Vaclav Havel gefragt wurde, ob sie zurück kehren würde, mußte sie an ihre Kinder denken, für die Österreich zur Heimat geworden war, und Nein sagen. Aber eigentlich hätte sie mit ihrer ganzen Seele, angesichts der Euphorie der ersten Zeit nach der Zerfall des Kommunismus, dabei sein wollen, um ihr Leben wieder dort fort zu setzen, wo sie es 1980 verließ. Den Kindern zuliebe bleib sie aber in Wien.

Heute sind Dášas Kinder erwachsen, und sie selbst ist zweimalige Großmutter. Sie pendelt regelmäßig zu Konzerten nach Tschechien, und tritt oft auch mit ihrem Lebensgefährten auf, dem Dichter Ivan Martin Jirous. Jirous selbst war fast neun Jahre als einer der prominentesten Regime-Kritiker im Gefängnis, und gehört zu den führenden Dichtern Tschechiens.

Nach einer Schallplatte, die sie in den Achtzigern im Studio von Radio Free Europe in München aufgenommen hatte, und einer CD, die sie in Begleitung einer mit ihr befreundeten Musiker aufgenommen hatte, ist die neueste CD, ?Traumkämpfer?, eine Rückkehr zu ihrer ursprünglichen Musik, nur Stimme, Gitarre, und ihre Texte/Gedichte. Die CD ist ihren Großeltern gewidmet, die sich bis in den Tod geliebt haben.

Ivan Martin Jirous sagt über Dáša Vokatá: ?Es gefällt mir nicht, wenn man über Dáša Vokatá als von einer Liedermacherin schreibt oder spricht. Der Begriff evoziert Jahrmarktsänger (auch wenn ich nichts gegen Jahrmarktsänger habe), aber Dáša ist jemand anderer. Ihre Lieder bedeuten existentielle Aussagen über die Welt, in der wir leben, oder über die Welt, die schon erloschen ist. Übrigens: Beachten sie, dass die meisten der Lieder-Gedichte von Dáša das Thema Liebe ansprechen. Gibt es denn etwas anderes, womit wir unsere Welt verbessern können? Und vielleicht sogar vervollkommnen??

Zuzana Brejcha

Interview (tschechisch) mit Dáša Vokatá.